Inszenierung in den Medien
Das Thema städtische Landwirtschaft wird mehr und mehr auch in den Medien thematisiert und in die Gesellschaft getragen

Grüner wird's nicht

Von Daniela Schröder, Berlin

Katja Renner

New York und Kuba machen es vor, nun ist Urban Farming in Deutschland angekommen: Ein Berliner Stadtgarten will Gemüseanbau mit Sozialgefühl verbinden. Landwirtschaft zieht in die Metropole - und bleibt mobil: "Nomadisch Grün" heißt das Konzept.

Hinter den Bürotürmen wandert die Frühlingssonne über den wolkenlosen Himmel, die Luft ist erfüllt vom Lärm des Feierabendverkehrs, es riecht nach Abgasen. Unter den Füßen spürt man das Vibrieren einer vorbeifahrenden U-Bahn.

Nur wenige Schritte entfernt rauschen Pappelbäume leise im Wind, der Duft frischer Kräuter hängt in der Luft, Kinder spielen zwischen Sträuchern und Pflanzenbeeten. Ein entspannter Nachmittag auf dem Land - und das mitten in der Metropole.

Am Berliner Moritzplatz, wo die Viertel Kreuzberg und Mitte in Betonöde aufeinandertreffen und die meisten Menschen nur vorbeikommen, wenn sie woanders hin wollen, dort hat sich die Stadt in Land verwandelt. Im "Prinzessinengarten" hackt, rupft und wühlt die ganze Nachbarschaft: Alte und Junge, Akademiker und Arbeiter, Türken, Russen, Deutsche. In den zwanziger Jahren stand auf dem Gelände ein Kaufhaus, jetzt wächst auf der Brachfläche nahe der ehemaligen innerdeutschen Mauer biozertifiziertes Gemüse aus aller Herren Länder.

Beim Startfest der Sommersaison pflanzt eine Kreuzberger Migrantengruppe selbstgezogene Setzlinge. Türkische Minze, Koriander aus Marokko, afrikanische Yam-Kartoffeln - jeder hat etwas Typisches aus seinem Heimatland ausgesucht. Lin Lijun schleppt eine Kanne Wasser herbei und gießt sorgsam ihre Pflänzchen. "Chinesischer Kürbis", erzählt sie. "Habe ich Zuhause im Bad gezüchtet."

Vorbilder USA und Kuba

Landwirtschaft in der Stadt zu betreiben, die Idee ist nicht neu. Schon in den siebziger Jahren entstanden in New York die ersten community gardens: Kollektive Blumen- und Gemüsebeete als sozialer Kitt gegen den Verfall der Stadtviertel.

Ackern mitten in der Stadt - in den USA gilt das Modell vielen inzwischen sogar als Anfang vom Ende der modernen Agrarwirtschaft. Die ehemalige Autometropole Detroit etwa, von knapp zwei Millionen auf weniger als 900.000 Einwohner geschrumpft, stellt gerade das weltweit größte Stadt-Farm-Projekt auf die Beine.

Doch der Ruck geht durch das ganze Land: Die auf regionale und saisonale Lebensmittel setzende Slow-Food-Bewegung will nicht nur Industriebrachen, sondern auch Schulhöfe quer durch die USA in "fruchtbare Landschaften" verwandeln. Der amerikanische Ernährungsaktivist Michael Pollan hält Urban Farming wegen der steigenden Ölpreise sogar für die einzige Möglichkeit eines nachhaltigen Lebensstils in der Großstadt.

Als die Menschen im 19. Jahrhundert wegen der Industrialisierung in die Städte zogen, da zogen die Gärten vor die Stadt. Heute bleibt dank leerstehender Industrieflächen und abnehmender Einwohnerzahlen immer mehr Platz für urbane Felder. Hinzu kommt, dass sinkende Löhne oder gar Arbeitsplatzverlust den Trend zur Selbstversorgung verstärken. Aber auch dynamisch wachsende Metropolen setzen auf Urban Farming: Millionenstädte wie Shanghai, Hongkong und Singapur fördern die innerstädtische Landwirtschaft bereits seit Jahren als Versorgungs- und Einkommensquelle.

Auf Kuba gehört der Stadtacker sogar zum offiziellen politischen Programm. Es startete als die Sowjetunion zusammenbrach und Düngerlieferungen an den sozialistischen Bruderstaat ausblieben. In Havanna und Santiago liefert die agricultura urbana seitdem 90 Prozent der frischen Lebensmittel.

Der Anbau vor der Haustür schont das Klima

Die Kolchosen in den Großstädten Kubas waren es auch, die die Berliner Gartengründer, Robert Shaw und Marco Clausen, inspirierten. In ihrem "Prinzessinnengarten" steht Selbstversorgertum jedoch erst an zweiter Stelle. Der Gemüseanbau soll vor allem die Gemeinschaft im Multikulti-Kiez fördern, Nationalitäten und Generationen ins Gespräch bringen und das Verständnis füreinander verbessern. "Im Schrebergarten dominiert der Wunsch nach Privatheit, bei uns dagegen treffen die Menschen aufeinander", sagt Shaw. "Das funktioniert am besten über Lebensmittel", sagt Clausen. "Essen ist der kleinste gemeinsame Nenner, der wirklich alle Menschen überall verbindet."

Neben zwei ehrenamtlich arbeitenden Gärtnern geben vor allem ältere Migranten ihr Wissen an die Stadtgärtner aus der Nachbarschaft weiter. "Viele Kinder und Jugendliche wussten bisher gar nicht, wo das Gemüse herkommt, sie hatten noch nie eine Möhre wachsen sehen", erzählt Clausen.

Ernährungsbewusste Erwachsene lockt die Chance zum Selbstanbau in den Garten. Denn Biowaren nur zu kaufen, das reicht vielen Menschen nicht mehr. Auch der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Aspekt des Projekts, denn das Transportieren von Lebensmitteln in die Städte macht einen großen Anteil der dort verursachten Kohlendioxid-Emissionen aus.

Eines aber unterscheidet den Berliner Stadtacker von seinen internationalen Vorbildern. Als weltweit wohl einziger seiner Art ist der Kreuzberger Gemeinschaftsgarten uneingeschränkt mobil. Nomadisch Grün heißt die Firma von Clausen und Shaw. Und der Name ist Programm - der "Prinzessinengarten" braucht kein Ackerland. Salat, Radieschen und Fenchel reifen in ausgemusterten Plastik-Brotkisten, Setzlinge keimen in Mini-Treibhäusern aus Plastikflaschen, und das Gartencafé nutzt ausrangierte Schiffscontainer als Tresen, Vorratslager und Schlechtwetterküche.

In den USA sind die urbanen Felder gerade dabei, sich die Dächer zu erobern. In New York haben sich die ersten Firmen bereits auf das Designen von Dachgewächshäusern spezialisiert. Funktioniert mit unserem Kisten-Konzept noch einfacher, finden Clausen und Shaw. Das Dach des Bürohauses gegenüber, sagen die Stadtgärtner, das würde ein erstklassiges Gemüsebeet abgeben.

Mobilität als Standortvorteil

So bleibt die knapp 6000 Quadratmeter große Brache ein Garten auf Zeit. Nicht freiwillig allerdings, denn die Berliner Stadtverwaltung behielt sich vor, das Grundstück irgendwann zu verkaufen - dann muss der "Prinzessinnengarten" weichen. Kein Problem, sagen die Betreiber. Denn wie schnell und unkompliziert ein Umzug funktionieren kann, bewiesen sie erst vor kurzem bei der Eröffnung des Tempelhofer Feldes: Für den Transport eines Stücks Stadtacker auf die ehemalige Flughafenrollbahn reichten wenige Fahrräder.

"Der Anbau in der Kiste macht das Gärtnern außerdem unabhängig von der Bodenqualität", sagt Clausen. Unten Humus, oben Erde - auf diese Weise bekommt das Gemüse Nährstoffe und Wärme, bleibt aber frei von Schadstoffen. Jüngste Idee der kreativen Stadtfarmer ist ein Kartoffelacker, auch er ohne traditionelle Bodenhaftung. In Reissäcken wachsen alte Sorten wie Blauer Schwede und Bamberger Hörnchen, neue Kartoffelknollen werden immer wieder mit Erde bedeckt. "Wenn der Sack voll ist", erklärt Shaw das ungewöhnliche Ernteprinzip, "dann muss man ihn nur umkippen."

Artikel in "Spiegel" vom 07.06.2010, 

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,697158,00.html

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