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Wir sonnen uns am Ostseestrand

Wir sonnen uns am Ostseestrand

Der Klimawandel wird Deutschland verĂ€ndern. Apfelsorten, die bislang nur in Italien oder Frankreich wachsen, gibt es bald auch hierzulande. In den Wintersportgebieten wird Schnee zur Mangelware. DafĂŒr profitieren die deutschen SeebĂ€der. Von Carsten Germis und Tim Höfinghoff.

"Pink Lady“ hat in Deutschland eine große Zukunft. Noch gibt es diesen Apfel hierzulande gar nicht. Doch das wird sich mit dem Klimawandel Ă€ndern. Die ersten Bauern experimentieren schon mit dieser Sorte, die bisher vor allem in Frankreich und in SĂŒdtirol wĂ€chst. Besonderer Vorteil: „Pink Lady“ fĂŒhlt sich bei hochsommerlichen Temperaturen besonders wohl und lĂ€sst sich auch bei heißeren Sommern problemlos anbauen.

WĂ€hrend „Pink Lady“ Karriere macht, hat es die Marke „Holsteiner Cox“ zunehmend schwer. Diese beliebte, norddeutsche Apfelsorte mag die hochsommerlichen Temperaturen ĂŒberhaupt nicht und wird zu frĂŒh reif. Der Apfel sehnt sich nach kĂŒhlen NĂ€chten. Dann bekommt er seine rote Schale, die Verbraucher lieben. Sind die NĂ€chte hingegen lau - und das fĂŒrchten die Apfelbauer fĂŒr die Zukunft -, dann bleibt die Schale gelb. Und der Apfel bleibt im Supermarktregal liegen.

Der Klimawandel gilt Kritikern lediglich als Hype, doch bei vielen Apfelbauern hat das Klimathema lĂ€ngst fĂŒr gravierende VerĂ€nderungen gesorgt: „Wenn wir ein wĂ€rmeres Klima bekommen, kann sich das auch auf die Wahl der angebauten Sorten auswirken“, sagt Matthias Görgens vom Obstbau-Versuchszentrum in Jork bei Hamburg.

Aprikosen statt Boskop

Am Bodensee gibt es zum Beispiel wegen des Wetterwandels bereits konkrete VerĂ€nderungen beim Warenangebot fĂŒr Verbraucher: Die Apfelsorte „saurer Boskop“ tut sich schwer. Seine BlĂŒte hat sich sogar im Alten Land - einem der grĂ¶ĂŸten Obstanbaugebiete Deutschlands in der NĂ€he von Hamburg - in den vergangenen 30 Jahren um etwa 19 Tage nach vorn geschoben. FrĂŒher wurde Boskop im Oktober geerntet, heute ist er schon im September reif. Mit der WĂ€rme kommen aber auch die UnkrĂ€uter und die SchĂ€dlinge. Verschiedene Krankheiten wie Mehltau, die durch Pilze oder Viren hervorgerufen werden, dĂŒrften den Bauern dann stĂ€rker zu schaffen machen.

Neue Apfelsorten hin oder her: Ananas, Zitronen oder gar Bananen werden hierzulande wohl so schnell nicht wachsen. Doch sĂŒdlĂ€ndische FrĂŒchte wie Aprikosen oder Pfirsiche haben ihren Siegeszug nach Norden schon angetreten. Sie werden fĂŒr immer mehr Obstbauern zu interessanten Alternativen. In der Bodensee-Region sind die VerĂ€nderungen aufgrund des Klimawandels heute schon zur RealitĂ€t geworden.

Nicht nur mancher Apfelbauer wundert sich, auch viele Verbraucher rĂ€tseln: Wer sind die Gewinner und die Verlierer in Sachen Klimawandel? UnabhĂ€ngig von Branchen und schnellen Markttrends, die Antwort sei ganz einfach, argumentieren Klimawandel-Experten: „Die Gewinner sind diejenigen, die ihre Emissionen runterfahren“, sagt Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut fĂŒr Klimafolgenforschung (PIK). Und: „Wer viel Energie verbraucht, gehört zu den Verlierern und zahlt in Zukunft eben mehr.“ Wer wie die Apfelbauern besonders auf das Wetter angewiesen ist, muss sich den neuen RealitĂ€ten in Sachen Klima stellen. Dabei sei der Wetterwandel nicht gleich morgen ĂŒberall zu spĂŒren, argumentieren Klimawandel-Experten. Doch in den kommenden 20 bis 30 Jahren werden die neuen RealitĂ€ten immer stĂ€rker spĂŒrbar sein.

Öko statt Dreck

50 Prozent der Deutschen sind jetzt schon der Meinung, dass die Folgen der globalen ErwĂ€rmung ziemlich genau so eintreten werden, wie es Forscher derzeit prognostizieren. Dies ermittelte kĂŒrzlich das Marktforschungsunternehmen GfK. „Verbraucher akzeptieren, dass der Klimawandel eine Tatsache ist, auf die man reagieren muss“, sagt Ronald Frank von GfK. „Sonst werden die Folgekosten teurer.“ Der GfK-Umfrage zufolge will die Mehrheit der Verbraucher dem Klimawandel selbst entgegenwirken - und daheim in umweltfreundliche Technik investieren.

Dies mĂŒsse gar nicht unbedingt mit viel Mehrkosten verbunden sein, berichtet Rainer Grießhammer vom Öko-Institut: „Verbraucher werden durch den Klimaschutz nicht wesentlich belastet“, sagt er. Egal, ob KĂŒhlschrĂ€nke, Heizungsanlagen oder WĂ€schetrockner: Mit guten Markenprodukten ließen sich heute schon bis zu 40 Prozent Kohlendioxid einsparen. Und diese sehr effizienten GerĂ€te seien auch nicht teurer als Konkurrenzprodukte.

Geht es ums Klima, reden viele gern von energiesparenden GlĂŒhlampen und weniger Autoabgasen. „Dabei mĂŒssten die Leute doch nur mal in ihre Keller gehen“, sagt Frank Ebisch. „Da stehen noch viele CO2-Schleudern.“ Ebisch vertritt eine Branche, die sich in Sachen Klimaschutz krĂ€ftig engagiert. Schließlich hat das Thema Konjunktur, und der Zentralverband SanitĂ€r Heizung Klima (ZVSHK) drĂ€ngt zum Handeln: Von 18 Millionen Heizungsanlagen in deutschen Kellern seien immer noch vier Millionen GerĂ€te veraltet: „Da geht noch viel zu viel Energie ungenutzt durch den Schornstein.“

Holz statt Öl

Die Heizungsbauer sehen sich wegen des Klimawandels auf der Gewinnerseite. Die Branche frohlockt: Wenn die Kunden ihre Heizungen erneuern, um Energiekosten zu drĂŒcken, hilft das nicht nur dem Klima. Der Modernisierungsschub im Keller spĂŒlt auch mehr Geld in die Kassen der Heizungsfirmen. „WĂ€rmepumpen, Biomasse, Holzpellets, die Alternativen zu Öl und Gas sind da“, sagt Ebisch. „Solche Techniken schauen sich die Leute immer mehr an.“ Auch Ralf SchĂŒle vom Wuppertal Institut fĂŒr Klima, Umwelt, Energie bestĂ€tigt: „GebĂ€udebesitzer werden vom Klimawandel profitieren. Angetrieben durch staatliche ZuschĂŒsse treiben sie die energiesparende Erneuerung voran.“ So drĂ€ngen die deutsche Regierung und die EuropĂ€ische Union mit neuen Gesetzen und Finanzhilfen immer stĂ€rker zu Energieeffizienz.

WĂ€hrend Hausbauer und Verbraucher begĂŒnstigt werden, wird die deutsche Landwirtschaft als „Werkstatt unter freiem Himmel“ auf jeden Fall durch den Klimawandel verlieren. So argumentiert jedenfalls der PrĂ€sident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner. In Brandenburg sank die ZuckerrĂŒbenernte im vergangenen Sommer wegen der Trockenheit um 25 Prozent. Der Ertrag beim Weizen lag deutlich unter dem Durchschnitt. Und Klimaforscher prognostizieren nicht nur fĂŒr Brandenburg in den kommenden Jahren immer weniger Regen.

Wie die wettergeplagten Bauern mĂŒssen sich auch Winzer auf die KlimaverĂ€nderungen einstellen. Verlierer des Wetterwandels ist vor allem der Riesling. Ausgerechnet diese Rebsorte, die in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen hat, die Weltgeltung des deutschen Weins wiederherzustellen. Gute und teure Rieslingweine sind zu einem der Exportartikel der deutschen Landwirtschaft geworden.

Merlot statt Riesling

Doch auch dem Riesling wird es hierzulande zu warm. Ende des Jahrhunderts wĂ€chst diese Sorte vielleicht als „Goslarer Mönchsberg“ am Harz oder gar in Skandinavien. Aus Sicht der Weinbauern hat sich der Äquator, klimatisch gesehen, jetzt schon um 500 Kilometer nach Norden geschoben. Deutschland hĂ€tte damit bald französische Klimabedingungen erreicht. Diese KlimaverĂ€nderungen lassen sich bereits deutlich erkennen: So gab es fĂŒr den besonders klimaempfindlichen Riesling zwischen 1950 und 1980 in Deutschland gerade mal vier richtig große JahrgĂ€nge: das sind die Jahre 1953, 1959, 1971 und 1976.

Von 1988 bis 2005 folgten dagegen 18 gute oder gar große Jahre, berichten Weinkenner. Gute Burgunder gab es frĂŒher in Deutschland nur vom sonnenverwöhnten Kaiserstuhl. Heute genießen Weintrinker hervorragende Burgunder aus Baden, der Pfalz, aus Rheinhessen, aus Franken und von der Ahr. Wo sich der Riesling nach Norden verzieht, macht er Platz fĂŒr den Cabernet Sauvignon oder den Merlot.

Rostock statt Rimini

Landwirte und Winzer stellen sich auf neue Zeiten ein - ebenso die Tourismusindustrie. Auf der diesjĂ€hrigen Internationalen Tourismusbörse, der weltgrĂ¶ĂŸten Reisemesse in Berlin, hatte der britische Wissenschaftler David Viner den Tourismusmanagern offenbart, was auf die Branche und alle Reisenden zukommen wird: So werden die MittelmeerlĂ€nder in spĂ€testens 20 Jahren nicht mehr das Ziel fĂŒr Sommerreisende sein. Das klingt ĂŒberraschend. Doch die Sommer werden dort dann so heiß und trocken sein, dass es kein Tourist mehr gerne aushalten werde. Der Wissenschaftler erinnert dabei gerne an den heißen Sommer im Jahr 2003 mit vielen Hitzetoten in Spanien, in Frankreich, Italien und Portugal. „So werden ab 2030 alle Sommer in Europa sein“, prophezeit er.

Die Gewinner dieses Wetterwandels werden hingegen die SeebĂ€der an der deutschen Nordsee- und an der OstseekĂŒste sein. „Die Touristenströme werden sich umkehren, vom SĂŒden in den Norden“, sagt Viner: „Man sollte schon heute anfangen, sich darauf vorzubereiten.“ So wird der Tourismus in Deutschland - vom Wintertourismus einmal abgesehen - eher zu den Gewinnern des Klimawandels zĂ€hlen. Die Saison an Ost- und Nordsee wird lĂ€nger, Freizeitsport und Wandern in den Mittelgebirgen attraktiver - und auch die deutschen StĂ€dte könnten mit einem attraktiven Kulturangebot profitieren.

Dorade statt Kabeljau

TatsĂ€chlich war die Nordsee in diesem Jahr im MĂ€rz schon so warm wie normalerweise im Mai, erzĂ€hlen die Bewohner der Ostfriesischen Inseln. Und die Zahl der GĂ€ste aus der Schweiz oder aus Baden-WĂŒrttemberg steigt. So sind die langen SandstrĂ€nde, die DĂŒnen an der deutschen NordseekĂŒste wegen der guten Sommer heute fĂŒr viele Urlauber schon lĂ€ngst eine Alternative zur Reise an das Mittelmeer. Zwar freuen sich viele Urlauber, wenn es an der deutschen KĂŒste statt Schmuddelwetter bald immer öfter WohlfĂŒhltemperaturen gibt. Doch die negativen Seiten des Klimawandels bekommen die Fischer zu spĂŒren: Dem Kabeljau wird es in den deutschen GewĂ€ssern langsam zu warm. Er flĂŒchtet in Richtung Norden. DafĂŒr wurden gelegentlich Doraden gesichtet.

Wo die Gastwirte im Norden Deutschlands sich freuen können, blicken die Wirte in den Wintersportgebieten der Alpen oder der Mittelgebirge mit Sorge in die Zukunft. Dabei ist vielen Reisewilligen lĂ€ngst klar, dass die Wintersportgebiete inzwischen zu den Verlierern des Klimawandels gehören. „Schwarzwald: Zu heiß im Sommer, kaum Schnee im Winter“, heißt es in einem Bericht von Edgar Kreikamp von der UniversitĂ€t LĂŒneburg an den Tourismusausschuss des Bundestages. Im Moment haben 609 der 666 alpinen Skigebiete in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien gute SchneeverhĂ€ltnisse, rechnet Kreikamp vor. „Dies wĂŒrde bei einem Temperaturanstieg um ein Grad auf 500 Gebiete, bei zwei Grad auf 404 und bei vier Grad auf 202 Skigebiete zutreffen. Genaue Daten fĂŒr die einzelnen Ferienregionen Deutschlands „mit hoher PrĂ€zision“ soll es bereits in einem Jahr geben. Viele Investitionen in Skilifte und Wintersportanlagen in deutschen Mittelgebirgen und zum Teil auch im alpinen Raum rechnen sich aufgrund der klimatischen VerĂ€nderungen schon nicht mehr, sagen Klimaforscher. Die Tendenz ist klar: In den Alpen wird die Schneefallgrenze auf 1600 bis 1800 Meter steigen, die Gletscher schmelzen.

FĂŒr Rainer Grießhammer vom Öko-Institut steht fest, wer dann die Verlierer sind: nĂ€mlich Besitzer von HĂ€usern in Skiregionen unterhalb von 1000 Metern. „Das ist also fast ĂŒberall außer im Hochschwarzwald.“ Kurzum: Die Alpen werden fĂŒr den Winterurlaub einfach nicht mehr gefragt sein.


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