Bedarf an Klimagerechtigkeit

Die Suche nach der Klimagerechtigkeit Die Industriestaaten wollen weiter mehr CO2 ausstoßen dürfen als andere Länder. China hält dagegen - und erinnert den Westen an seine Klimaschulden.

Die Suche nach der Klimagerechtigkeit

Die Industriestaaten wollen weiter mehr CO2 ausstoßen dürfen als andere Länder. China hält dagegen - und erinnert den Westen an seine Klimaschulden. Von Frank Drieschner

Es tobt eine Debatte um Gerechtigkeit auf der Kopenhagener Klimakonferenz. Und gerecht wird das Ergebnis am Ende sein müssen. Die Welt braucht faire Regeln, die festlegen, wie stark die Länder die Nutzung fossiler Energieträger künftig einschränken. Niemandem darf mehr zugemutet werden, als er legitimerweise von anderen erwarten kann. Was aber ist gerecht?

Die westlichen Demokratien sammeln sich in Kopenhagen offenbar hinter einem Vorschlag, der es ihren Bürgern gestattet, noch im Jahr 2050 pro Kopf mehr COauszustoßen als die Menschen in den Entwicklungsländern. Das mag aus Sicht der Industriestaaten vernünftig erscheinen. Ihr Argument könnte lauten: Wir strengen uns an, aber eine Gleichbehandlung von Industrie- und Entwicklungsländern halten wir für kein realistisches Ziel. Chinas Unterhändler würden Letzterem sogar zustimmen. Nur ist ihre Perspektive eine völlig andere.

Mit strahlendem Lächeln stellte in Kopenhagen ein chinesischer Versammlungsleiter eine Studie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und weiterer hochrangiger Forschungseinrichtungen vor. Verfasst wurde das Papier von einer Gruppe um den Klimawissenschaftler Luo Long. Die Chinesischen Wissenschaftler haben ihre Studie ins Englische übersetzt und in Hochglanzpapier eingebunden. Offenbar legen sie Wert darauf, dass ihre Botschaft im Westen ankommt.

Luo greift einen brasilianischen Vorschlag aus dem Jahr 1997 auf. CO2 ist in der Atmosphäre ein sehr langlebiges Gas. Die Frage stelle sich daher, argumentiert Luo, wie viel Kohlendioxid ein Land pro Kopf seiner Bevölkerung bereits emittiert hat. Und wie viel es – konsequenterweise – noch produzieren darf.

Die Wissenschaftler tragen ihre Argumente in der Sprache der Mathematik vor: These, Beweis, dazu eine Summenformel für den "Schaden für andere, den eine Person verursacht hat". In einem nächsten Schritt bestimmen sie die Obergrenze der gesamten globalen Klimagasemissionen, die mit einer verträglichen Entwicklung gerade noch vereinbar sind (wobei sie großzügige Maßstäbe anlegen). Letzter Schritt: Wer darf noch Kohle, Öl und Gas verbrennen, wer muss sich einschränken?

Man muss den Autoren zugute halten, dass sie ihr eigenes Land streng behandeln. China müsse sich einschränken, schreiben sie. Die entwickelten Länder allerdings wirtschaften der Rechnung der Wissenschaftler zufolge schon lange jenseits von Gut und Böse. Ihr Kontingent haben seit weit überschritten. Selbst wenn die westlichen Demokratien ihre Emissionen ab sofort auf Null reduzierten, sei das bei weitem zu wenig, um die historische Klimaschuld abzutragen. So viel zur Gleichheit aus chinesischer Perspektive.

Was soll man dem entgegen halten? Es läge nahe, diesen Gerechtigkeitsformeln mit Spott zu begegnen. Aber die Thesen der Wissenschaftler werden in Kopenhagen im Namen von 1,1 Milliarden Menschen vorgetragen. Das dürfte eine spöttische Haltung verbieten. Man könnte einwenden, dass zu Beginn des Solarzeitalters nicht mehr die gleichen Notwendigkeiten bestehen wie zu Zeiten der Industriellen Revolution im Westen. Die Technik des Solarzeitalters hat die Welt im Wesentlichen dem Westen zu verdanken. Das aber wäre kein starker Einwand. Geschenkt, könnten die Chinesen sagen, dann halbieren wir eben eure Schulden.

Der Westen könnte weiter argumentieren, der Umbau einer bereits etablierten Fossilökonomie sei schwieriger als der Ausbau einer Solarökonomie in den Ländern ohne fossile Altlasten. Doch selbst wenn die Chinesen großzügig sind, ändert das nichts an ihrem Argument. Geschenkt, könnten sie sagen, wir halbieren eure Schulden ein weiteres Mal. Und dann?

Am Ende gibt es nur eine Chance, den Konflikt aufzulösen: Sollte sich die Solartechnologie schnell genug entwickeln, könnte es in einigen Jahrzehnten keinen Grund mehr geben, die schmutzige Fossiltechnik anzuwenden. Dann wäre die gewaltige Masse der chinesischen Verschmutzungsrechte wertlos. Und die Schulden des Westens auch.

Atikel aus der "Zeit" vom 10.12.2009, http://www.zeit.de/wirtschaft/2009-12/klimaschutz-gerechtigkeit

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